Aufgrund der Covid-19-Pandemie können seit dem Sommersemester 2020 musikpraktische Lehrveranstaltungen nur unter strengsten Sicherheitsbedingungen und allenfalls im Einzelunterricht oder in Kleinstgruppen stattfinden. Um dem Hygienekonzept Rechnung zu tragen, kam im Sommersemester 2020 am Lehrstuhl für Musikpädagogik die Idee auf, musikpraktische Lehrveranstaltungen hybrid, also in Teilpräsenz, zu gestalten.

Der Plan: Ein kleiner Teil der Studierenden ist jeweils im Hörsaal anwesend, kann die dortigen Ressourcen nutzen (z. B. Musikinstrumente, Geräte) und hat die Möglichkeit, in der Kleingruppe musikpraktisch zu arbeiten. Die Lehrveranstaltung wird live gestreamt, die übrigen Studierenden folgen den Aktivitäten online. Das notwendige technische Equipment sollte leicht aufzubauen und intuitiv zu bedienen sein, zudem sollte es mobil verfügbar sein, um das Konzept von verschiedenen Unterrichtsräumen aus umsetzen zu können.

Die Lösung: Ein „Streaming-Koffer“, gemeinsam mit dem DigiLLab der Universität Augsburg entwickelt:

Equipment

Der Koffer enthält…

  • Zwei Kameras (möglich wären bis zu vier):
    • Kamera 1: Sony ZV-1 als „Hauptkamera“, auf die lehrende bzw. anleitende Person gerichtet
    • Kamera 2: GoPro HERO7, auf Studierende bzw. musikalische Aktivitäten im Unterrichtsraum gerichtet
  • Mikrofone: im Koffer enthalten sind: SONY ECM-XYST1M Stereo Mikrofon (einstellbare Stereomikrofonierung), RØDE VideoMic GO (Shotgun-Richtcharaktersitik für einzelne Schallquellen), kabelloses Ansteckmikrofon RØDE Wireless Go (Lavalier-Sprechermikrofon, Reichweite ~30m). Außerdem können auch externe Mikrofone wie z.B. das Shure SM-7B oder Audiosignale von z.B. E-Piano oder E-Bass über ein USB-Audiointerface in das Setup integriert werden (dieses Interface ist bie uns nicht im Koffer enthalten).
  • Bildmischer und Switcher für die Video-Liveproduktion: Blackmagic Design ATEM Mini Pro (Bild- und Audiomischung; ermöglicht auch das Zuspielen von Präsentationen und Bild-im-Bild-Szenarien; das Ausgangssignal kann über den Anschluss an einen Laptop oder PC via Zoom oder direkt per LAN als Videostream distribuiert werden)
  • Zubehör wie hochwertige HDMI-Kabel und leistungsstarke Powerbanks (25.000+ mAh mit Schnelladefunktion) und ein ebenso leistungsstarkes Schnellladegerät, an das alle Powerbanks gleichzeitig angeschlossen werden können (in unserem Fall ein Ehmann USB Multilader 6-Port).
  • Ein kompakter HDMI-Splitter, um eine Präsentation von einem Laptop, die z.B. über einem Beamer gezeigt werden soll, auch als Videosignal in das ATEM Mini Pro einspeisen zu können.
  • Als Transportkoffer kommt ein stabiler und z.B mit Zahlenschlössern schließbarer Case zum Einsatz (Peli 1615 Air Case).
  • Anleitung zum Aufbau des Equipments. Um zügig aufbauen zu können, wurden zueinander gehörende Komponenten und Anschlüsse farblich kodiert.

Zusätzlich benötigt werden…

  • Zwei Kamerastative (in unserem Fall Cullman Primax 390)
  • ein hinreichend leistungsfähiges Notebook für Streaming/Videoconferencing und ggf. erweiterte Steuerung des Videomischers (die Steuerung des Videomischers ist aber problemlos auch direkt über Buttons auf dem Atem Mini Pro möglich).

Die Zahl an zu verlegenden Kabeln sollte möglichst gering gehalten werden, daher werden die Kameras nicht an den Strom angeschlossen, sondern über Akkupacks, die via Folientaschen an den Stativen befestigt werden können, mit Strom versorgt. Die Kameras sind damit nur noch jeweils über ein einzelnes HDMI-Kabel zu verbinden, wodurch die Positionierung und Bewegung der Stative erleichtert wird. Hier sind Abstände von 5m bis 10m umsetzbar. Optional wäre noch die Verwendung von Wireless-HDMI Receivern möglich, so dass die Kameras auch komplett kabellos und damit frei im Raum (bis zu ca. 30m) bewegbar wären (hierbei würde es allerdings zu erhöhten Übertragungslatenzen kommen).

Das System eigent sich darüber hinaus grundsätzlich auch zum qualitativ hochwertigen Aufzeichnen von Unterrichtssequenzen oder der Produktion von Erklärvideos, was aber bei unserem Einsatz nicht im Fokus stand.

Bisherige Erfahrungen

Im Wintersemester 2020/21 machte die Pandemie-Situation die Nutzung des Streaming-Koffers in der ursprünglich vorgesehenen Weise unmöglich. Es zeigte sich aber, dass er auch zur Gestaltung der Online-Lehre in musikpädagogischen Seminaren und Übungen eignet. Die Geräte wurden dafür in einer Art „Cockpit“ fest verbaut, das von mehreren Lehrenden abwechselnd für ihre Lehrveranstaltungen genutzt wurde (z. B. Schulpraktisches Instrumentalspiel, Volksmusik in der Schule, Praxis Populärer Musik): 

  • Kamera 1 diente als Hauptkamera und war auf Lehrperson und Whiteboard gerichtet.
  • Kamera 2 wurde unterstützend eingesetzt, um der Lehrperson den raschen Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten und Medien zu ermöglichen, z. B. 
    • für Nahaufnahmen, um Details der Handhabung von Musikinstrumenten vorzumachen (zum Beispiel Gitarre: Griffhand, Schlaghand)
    • zur Demonstration von Tanzschritten oder Spiel an „stationären“ Instrumenten wie Keyboard, Drumset oder Xylophon
  • Ergänzend waren noch eine Dokumentenkamera und ein weiteres Notebook oder Tablet in das Streaming-Set eingebunden, was neue, attraktive Nutzungsmöglichkeiten eröffnete.  
  • Das Ausgangssignal der ATEM mini-Box wurde über ein Notebook direkt in Zoom eingespeist (Anschluss per USB).

Empfehlungen

Im Lehrbetrieb wurden rasch einige Aspekte deutlich, auf die man achten muss, um reibungslose Abläufe zu ermöglichen: 

  • Ausreichend Zeit für Auf- bzw. Abbau einplanen: Eine geübte Person braucht ca. fünf Minuten für Aufbau und Inbetriebnahme und ca. drei Minuten zum Abbau des Streaming-Sets. Damit einher geht eine strukturierte Planung des Ressourceneinsatzes: Wann ist der Unterrichtsraum frei für das Auf- und Abbauen? Wer erledigt diese Arbeiten? Wo und von wem wird das Equipment noch genutzt?
  • Sachgemäßer Aufbau: Bereits ein minimal verrutschter Stecker kann zu Schwierigkeiten bis hin zum Signalverlust führen – und zu zeitaufwändiger Fehlersuche.
  • Auch dann, wenn das Set von einer vorigen Lehrveranstaltung fertig aufgebaut übernommen wird, sollte immer ein kurzer Funktionscheck durchgeführt werden. Dabei die Mikrofone nicht vergessen!
  • Der Ladezustand von Akkus, Kameras und Ansteckmikrofon muss regelmäßig und frühzeitig überprüft werden (z. B. am Vortag/ vor dem Wochenende). Insbesondere die Sony-Kamera kann sonst nicht sicher betrieben werden. Das System war während des Semesters täglich zwischen 1,5 und 3 Stunden in Betrieb. Die Akkus mussten bei dieser Nutzung etwa alle 2 Wochen aufgeladen werden.
  •  Am Ende einer Session müssen alle Geräte zuverlässig ausgeschaltet, ggf. abgesteckt und wieder aufgeladen werden – im eigenen Interesse und in dem der Kolleg*innen, die das Equipment ebenfalls nutzen! 
  • Es sollte außerdem auf gute Beleuchtung/Ausleuchtung des Raums und der zu filmenden Personen und Objekte geachtet werden, damit die Kameras entsprechende Bildqualität liefern können.

Wie immer beim Einsatz komplexerer technischer Ausstattung empfiehlt es sich, einen „Plan B“ bereit zu halten bzw. technisch flexibel zu sein (z. B. schnelles Umstellen auf Kamera 2 als Hauptkamera oder auf integrierte Webcam des Laptops, zügiger Anschluss eines alternativen Mikrofons)!

Fazit

Musikpraktische Lehrveranstaltungen lassen sich auch mit diesem Streaming-Set nicht in einer Qualität durchführen, die der einer Präsenzveranstaltung entspricht. Zentrale fachspezifische Aspekte wie etwa differenziertes Hören, präzise Arbeit an Parametern wie Timing und Sound, musikpraktisch-künstlerische Arbeit in und mit der Gruppe, Ensembleleitungstraining und Vieles mehr können bei Online-Aktivitäten nicht bzw. nicht hinreichend zum Tragen kommen.

Dennoch bietet der Einsatz des Streaming-Koffers Vorteile, zumal im Vergleich zum einfachen Aufbau mit Webcam oder Notebook-Kamera:

  • bessere Bild- und Tonqualität (ggf. sind die Audio-Konfigurationsmöglichkeiten zur hochwertigeren Übertragung von Audio in Zoom und ähnlichen Videokonferenztools zu beachten und entsprechend einzustellen),
  • bessere Möglichkeiten, musikpraktische Inhalte anschaulich, „anhörlich“ und verständlich zu vermitteln (z. B. durch unkompliziertes Umschalten zwischen Halbtotale und Close-Up, Nahaufnahmen und verschiedenen Standplätzen und Perspektiven).

Die gemeinsame Nutzung des „Streaming-Cockpits“ durch mehrere Lehrpersonen brachte Synergieeffekte mit sich – im technischen Bereich, in der inhaltlichen Kooperation, bei der gegenseitigen Unterstützung oder in der Ersparnis von Auf- und Abbauzeiten.

Ausblick

Sobald es möglich ist, möchten wir das Streaming-Set im ursprünglich geplanten Kontext testen. Wir arbeiten weiter daran, Erfahrungen zu sammeln und neue, hochschuldidaktisch sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten zu erkunden. Das Potenzial reicht über die bloße Bewältigung der Pandemiesituation vermutlich deutlich hinaus.

So könnten zum Beispiel mit Hilfe des Equipments

  • weiterhin Veranstaltungen in hybriden Lehr-Lernformaten durchgeführt werden,
  • Studierende in die Betreuung der Geräte während der Veranstaltung eingebunden werden, was ihnen zusätzliche Medienkompetenzen bringt,
  • Lehrveranstaltungen mit praktischen Anteilen auch hochschulübergreifend durchgeführt werden,
  • Konzerte und Auftritte von Studierenden des Lehrstuhls für Musikpädagogik bzw. des Collegium Musicum live gestreamt werden.

Präsenz- oder Hybridlehre und technische Betreuung der Veranstaltung gleichzeitig dürften sich für die jeweilige Lehrperson als sehr herausfordernd erweisen. Hier muss ausprobiert werden, unter welchen Voraussetzungen eine problemlose Nutzung für Lehrende mit unterschiedlicher technischer Expertise möglich ist.


Ansprechpartner*innen:

Nicolas Uhl

Dr. Gabriele Puffer

Lehrstuhl für Musikpädagogik

www.mupaed.de

Dr. Carl-Christian Fey

Koordinator DigiLLab